Sonntag, 21. September 2014

"Seit wann denkst du, schreibst du hier die Geschichten?"

"Ich finde, das ist eine blöde Idee."
"Ach ja. Findest du."
"Ja, finde ich. Überleg doch mal: Das sind meine Freunde. Ich muss ihnen helfen."
"Deine Freunde laufen in eine Falle."
"Ja und?"
"Was, ja und? Hast du vergessen, wer du bist? Hast du vergessen, wie stark du bist? Du kommst im Leben nicht gegen so eine Übermacht an!"
"Ja und?"
"Ja und? Die kriegen dich! Das ist dein sicherer Untergang! Du bist verdammt nochmal meine Protagonistin, ich kann es mir nicht leisten, dich nach der Hälfte zu verlieren? Worüber soll ich denn schreiben, wenn sie dich einen Kopf kürzer machen, hast du darüber mal nachgedacht?"
"Mann, sei nicht so spießig. Es passiert schon nichts."
"Es passiert nichts, ja. Denk doch mal an deine anderen Freunde, die auch deine Hilfe brauchen? Bei denen sollst du bleiben!"
"Ach quatsch, die kommen schon ohne mich klar. Sind schon große Jungs."
"Bist du dir sicher?"
"Ach, das pack ich schon."
"Wirklich?"
"Da passiert nichts. In drei, vier Absätzen bin ich wieder zurück."
"Versprochen?"
"Versprochen."

3 Kapitel später:

"Sag es nicht."
"Nein, ich werde nicht sagen Ich hab's dir doch gesagt."
"Na vielen Dank."
"Also, wo sind wir genau?"
"Im Gefängnis."
"Genauer?"
"In der Todeszelle."
"Sehr schön. Und wer hat dir gesagt Tu es nicht?"
"Du."
"Und wer hat mal wieder recht gehabt?"
"Sag mal, willst du mir das ewig vorhalten?"
"Zumindest solange du ständig meckerst und alles besser weißt."
"Gut, du hattest recht. Du hast die bessere Idee gehabt und ich richte mich nach dir. Holst du mich jetzt hier raus?"
"Eigentlich überlege ich gerade, wie sich die zweite Hälfte ohne Protagonistin machen würde..."

Das ist ein Originaldialog, den ich einmal mit einer meiner Protagonistinnen geführt habe.  Und das Schlimme daran: es war nicht der einzige.
Man mag ja denken, dass das Schöne am Schreiben ist, dass man selbst Herr über alles ist. Solange man sich nicht selbst widerspricht und keine Logik- oder Plotlöcher entstehen lässt, kann man frei über alles entscheiden. Man kann schalten und walten wie man möchte und die Charaktere lenken, wie man will. Man ist der Puppenspieler und die Charaktere sind nur die Marionetten. Man ist die größte Macht. Man ist quasi Gott. Ist das nicht ein berauschendes Gefühl? Ein Gefühl, wegen dem ein paar Schreiber überhaupt diesen Weg eingeschlagen haben?

Tja... würde irgendjemand von uns Menschen sich jemals an Gott richten und mit ihm eine solche Diskussion starten? Ich persönlich würde das nicht und irgendwie macht das dieses Gefühl wieder zunichte. Denn Charaktere tun das ständig.
Im obigen Beispiel hatte meine Protagonistin sich auf halber Strecke in eine Todeszelle befördert. Gut, sie war kriminell und so etwas ist in dieser Welt Berufsrisiko. Trotzdem: Versucht mal, ohne unlogisch zu werden, einen Charakter aus dem Todestrakt eines Hochsicherheitsgefängnisses zu befreien.
Ein anderer Charakter sollte ein unschuldiges, kleines Mädchen sein, das sich nur durch seine schier übermenschliche Kraft, extreme Geschicklichkeit und grenzenlosen Optimismus von anderen unterscheidet. Kaum habe ich zwei Kapitel lang nicht hundert Prozent aufgepasst, hat sie mir gezeigt, dass sie eigentlich eine kaltblütige Killerin ist. Als ich sie fragte, wieso sie plötzlich so war und sich nicht so verhielt, wie ich es geplant hatte, sagte sie nur: "Seit wann denkst du, schreibst du hier die Geschichten?"

Eigentlich dachte ich, ich würde die Geschichten schreiben. Ja, ich dachte es tatsächlich. Dieses kleine Mädchen hatte mir gezeigt, was ich vorher nie hatte wahrhaben wollen.

Nicht der Autor schreibt die Geschichte.
Die Geschichte schreibt ich selbst.
Wir sind nur das Sprachrohr, dass sie zu Papier bringt.

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